Einstieg.com: Ausbildung an Berufsfachschulen

02.10.2008 10:45

Berufsfachschulen richten sich eigentlich an Schüler mit Real- oder Hauptschulabschluss. Mittlerweile entdecken aber auch immer mehr Abiturienten das Terrain für sich. Doch die Fülle des Angebots kann verwirren.

Laura träumte von einer Karriere in der Modebranche, Harald wollte sich in den Medien weiterqualifizieren und Sinje überbrückte die Zeit bis zum Studium. Alle drei Abiturienten verfolgten ganz unterschiedliche Pläne, nur eines hatten sie gemeinsam: Sie gingen dafür an eine Berufsfachschule.

Das Beispiel offenbart gleichzeitig das Dilemma der Berufsfachschulen: Hier kann man praktisch alles machen – und schnell den Überblick verlieren. Nicht nur, dass es ganz verschiedene Ausbildungsgänge gibt. Je nach Bundesland können sich die Ausbildungsangebote, selbst wenn sie unter der gleichen Berufsbezeichnung geführt werden, unterscheiden. Das liegt daran, dass jedes Bundesland selbst für die Gestaltung der schulischen Ausbildung verantwortlich ist – ganz im Gegensatz zur betrieblichen, der so genannten „dualen Ausbildung“, die bundesweit einheitlich geregelt wird. Zuständig für die schulische Bildung ist die Kultusministerkonferenz, doch die bietet keinerlei Beratung an.

Orientierung oder Ausbildung?

„Schüler, die sich über Berufsfachschulen in ihrer Nähe informieren möchten, sollten sich an die lokale Arbeitsagentur oder die Industrieund Handelskammer ihres Bundeslandes wenden“, sagt Volker Pieper vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Tatsächlich hat man die Qual der Wahl. Mehr als 80 Ausbildungsgänge mit staatlich anerkanntem Abschluss sind bundesweit im Angebot. Ob Technik, Mode, Tourismus oder Medien: Es gibt kaum eine Branche, die nicht abgedeckt wird. Daneben gibt es eine Vielzahl von Aus- und Weiterbildungen, die zur Orientierung dienen oder auf andere Ausbildungsgänge vorbereiten. Deswegen unterscheidet man bei Berufsfachschulen zwischen voll- und teilqualifizierenden Bildungsgängen. Die schulische Ausbildung ist beliebt: In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der Berufsfachschüler von 70 000 auf 238 000 angestiegen.

Berufsfachschulen richten sich gleichermaßen an alle Schulabgänger. Auch wer seinen Abschluss „vergeigt“ hat, bekommt hier noch eine Chance: Mit dem Berufsgrundschuljahr kann man innerhalb eines Jahres seinen Haupt- oder Realschulabschluss nachholen und nebenbei etwas Praxisluft schnuppern. Die nächste Stufe ist ein Orientierungsjahr, das viele Berufsfachschulen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten anbieten. Diese Weiterbildung wurde ursprünglich zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen entwickelt. Mittlerweile nutzen sie auch viele Abiturienten, um sich auf ihr Studium vorzubereiten. Das merkt auch Dietmar Stein, Studiendirektor am Max-Weber-Berufskolleg Düsseldorf, wo man die so genannte „einjährige Handelsschule“ besuchen kann. „Aufnahmevoraussetzung ist zwar nur der Realschulabschluss, trotzdem kommen zu uns viele Abiturienten, die sich erst einmal mit BWL, VWL oder Rechnungswesen vertraut machen wollen, bevor sie in die Ausbildung oder das Studium starten“, sagt Stein. Zudem sei die einjährige Handelsschule bei Abiturienten als Übergangslösung beliebt: „Wer BWL studieren möchte, aber keinen guten Notendurchschnitt hat, kann bei uns seine Wartezeit effektiv nutzen.“
 
Praktika inklusive
Auch Harald Schomisch hat ein Orientierungsjahr absolviert, und zwar an der Berufsfachschule für Medien und Kommunikation in Rheinbach bei Bonn. „Ich hatte nach dem Abitur eine Ausbildung als IT-Systemkaufmann absolviert, wollte aber auch fit sein für die Arbeit im Medienbereich“, erzählt Harald. Ein Jahr lang büffelte er Medientheorie und Gestaltung für den Kurs „Einjährige Berufsfachschule für Gestaltung“. „Zum Programm gehörten drei Praktika bei Medienunternehmen, da konnte man ein bisschen Praxisluft schnuppern“, sagt Harald, den es trotz des einjährigen Lehrgangs wieder in seinen alten Ausbildungsberuf verschlagen hat. „Zur Orientierung kann ich ein solches Jahr trotzdem empfehlen“, meint er rückblickend. „Viele meiner Mitschüler haben danach noch ein
Jahr Schule drangehängt und hatten am Ende den Ausbildungsabschluss ‚Gestaltungstechnischer Assistent’ in der Tasche.“
Laura Intile entschied sich nach dem Realschulabschluss für die Berufsfachschule. Am Kölner Berufskolleg Humboldtstraße machte sie eine dreijährige Ausbildung zur „Gestaltungstechnischen Assistentin“. „Ich war von der Modebranche fasziniert und wollte kreativ sein“, erzählt die heute 25-Jährige: „Tatsächlich ging es aber um technisches Zeichnen und Textiltechnologie. Künstlerisches Gestalten war Nebensache – da bin ich wohl zu naiv an die Sache herangegangen.“ Trotzdem blickt Laura positiv auf die Ausbildung zurück: „Das Handwerk habe ich an der Berufsfachschule gut gelernt. Außerdem konnte
ich durch eine Schulkooperation ein Jahr an einer italienischen Modeschule verbringen, das war ein echtes Highlight.“ Mit dem Ausbildungsabschluss, der auch das Fachabitur beinhaltete, gab sie sich aber nicht zufrieden: An der Abendschule bestand sie das Abitur, danach ging es zum Geschichts-Studium an die Uni Köln. „Obwohl ich nicht mehr in meinem Ausbildungsberuf arbeite – die Erfahrung möchte ich nicht missen“, sagt Laura. „Jetzt kenne ich meine Ziele besser, kann mein Studium schnell durchziehen, und wenn es beruflich danach nicht klappt, kann ich mich immer noch auf meine Ausbildung stützen.“
Ausbildung vorm Studium
Sinje Vielgraf ging zielgerichteter als Laura an die Ausbildung heran: „Ich wusste nach dem Abitur genau, dass ich Bio studieren möchte. Trotzdem wollte ich das Studium nicht beginnen, ohne eine richtige Vorstellung von dem Fach zu haben“, erzählt sie. Kurzerhand entschied sich Sinje für eine Ausbildung zur Biologisch-technischen Assistentin am Lessing Berufskolleg in Düsseldorf. Die Aussicht auf eine abgeschlossene Ausbildung beruhigte sie: „Wenn das Studium nicht das Richtige gewesen wäre, hätte ich immer noch auf die Ausbildung zurückgreifen können.“ Ihre Entscheidung hat die 26-Jährige nicht bereut: „Ich studiere seit fünf Jahren Biologie, stehe kurz vor dem Abschluss und bin immer noch mit Begeisterung dabei.“ Wie Harald, Laura und Sinje geht es vielen Abiturienten: Sie nutzen die Berufsfachschule als Zwischenstufe auf dem Weg in die Ausbildung oder als Vorbereitung auf ein Studium. Bei der Ausbildung bietet die Berufsfachschule einen entscheidenden Vorteil: Abiturienten können die Dauer auf zwei Jahre verkürzen. Die Ausbildung an der Berufsfachschule ist kostenlos – sofern man sich für eine staatliche, und nicht für eine private Schule entscheidet. Von einem Ausbildungsgehalt können Berufsfachschüler nur träumen: Sie können zwar Schüler-Bafög beantragen, für die meisten ist aber weiterhin das „Hotel Mama“ angesagt. Die Entscheidung zwischen Berufsfachschule, dualer Ausbildung und Studium ist nicht leicht. Die einzige Lösung: Informieren, informieren und nochmals informieren.

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